Die Ursachen

Die Speichel produzierenden Bereiche sind bei einer normalen Speicheldrüse traubenartig angeordnet. Bei einer feingeweblichen Untersuchung (Histologie) einer normalen Speicheldrüse finden sich nur vereinzelt Lymphozyten (= körpereigene Entzündungszellen). Im Vergleich hierzu finden sich bei Patienten mit einem Sjögren-Syndrom vermehrt Lymphozyten in der Speicheldrüse. Es kommt zu einer Infiltration (Einwanderung) in das Drüsengewebe.
Lymphozyten sind Teil unseres Immunsystems, die normalerweise für den Schutz vor Infektionen oder bösartigen Erkrankungen verantwortlich sind. Falls es zu einem „Angriff" von eigenem Gewebe durch die Lymphozyten kommt, bezeichnet man dies als autoimmunes Geschehen bzw. Autoimmunreaktion. Lymphozyten entstehen in unserem Knochenmark. Man unterscheidet zwei Arten von Lymphozyten, die sogenannten T-Zellen und B-Zellen, welche in unterschiedlichem Ausmaß für die Vermittlung von Immunreaktionen verantwortlich sind. Die T-Zellen wandern vom Knochenmark zum Thymus (daher T-Zellen), wo sie ausreifen und von dort aus ins periphere Blut auswandern. Die B-Zellen wandern zu bestimmten Regionen innerhalb der Lymphknoten, wo sie ebenfalls weiterreifen. Bei Vögeln, nennt man diese Region Bursa fabricius (daher B-Zellen). B-Zellen bzw. B-Lymphozyten sind die Produzenten der Antikörper. T-Zellen ihrerseits regulieren die Antikörperproduktion der B-Zellen. Die sog. T-Helfer Zellen unterstützen die Antikörperproduktion, während die sog. T- Suppressor Zellen die B-Zellaktivität unterdrücken. Weitere Untergruppen der T-Zellen können beispielsweise mit Vieren infizierte Zellen oder Krebszellen zerstören (sog. Zytotoxische Zellen). Die Aktivität des gesamten Immunsystems wird durch bestimmte Botenmoleküle (z.B. Interleukine) gesteuert, welche den Immunzellen mitteilen, ob sie aktiv oder inaktiv sein sollen.
Autoimmunität (die übersteigerte Reaktion gegen körpereigenes Gewebe) resultiert aus einer fehlerhaften Regulation der B-Zell und T-Zellaktivität. Die Ursache hierfür mag einerseits in einer gesteigerten Vermittlung von Helfer-Signalen liegen, andererseits mag eine fehlerhafte Antwort gegenüber den Suppressor-Signalen bestehen.
Der initiale Auslöser, welcher die Autoimmunreaktion in Gang setzt, ist weiterhin unbekannt. Es bestehen Hinweise darauf, dass ein bestimmtes Virus bei der Entstehung der Erkrankung eine Rolle spielt. Eines dieser möglichen Viren ist bekannt unter dem Namen Epstein Barr-Virus (EBV). Es gilt als Auslöser der infektiösen Mononukleose (Pfeiffer'sches Drüsenfieber). Diese nicht seltene Erkrankungen ist charakterisiert durch Lymphknotenschwellungen, Gelenkschmerzen, Abgeschlagenheit und auch Schwellungen der Speicheldrüsen. Man geht davon aus, dass 80 bis 100 % der erwachsenen Bevölkerung bereits eine Infektion mit diesem Virus hatten. In den meisten Fällen verläuft eine Infektion mit EBV ohne klinische Beschwerden. Nach einer Infektion mit diesem Virus kann dieses in den Speicheldrüsen weiterhin nachweisbar sein, ohne Beschwerden zu verursachen. Unterschiedliche Forscher (unter anderem der Autor des Originalartikels) haben vermutet, dass dieses Virus oder ein naher Verwandter unter bestimmten genetischen Voraussetzungen die Autoimmunreaktion in Gang setzen kann. Hierfür gibt es jedoch bisher noch keinen direkten Beweis. Es ist lediglich als eine Entstehungs-Hypothese anzusehen, weitere Forschungen in diesem Gebiet werden zur Zeit vorangetrieben.
Ein Sjögren Syndrom unterscheidet sich vom sogenannten chronic Fatigue Syndrom oder dem sog. chronischen EBV Syndrom. Patienten mit einem Sjögren Syndrom zeigen bestimmte charakteristische Abnormitäten in den Blut-Tests oder den Biopsien, welche bei den anderen Erkrankungen nicht vorkommen.
Im weiteren Verlauf der vermuteten Infektion kommt es zur Einwanderung von Lymphozyten in die Speicheldrüse. Diese Lymphozyten sondern spezifische Antikörper sowie Rheumafaktoren und Antikörper gegen Zellkernproteine (antinukleäre Antikörper-ANA) ab. Des weiteren werden Antikörper freigesetzt, die gegen bestimmte Proteine, genannt Ro (SSA) oder La (SSB) gerichtet sind. Diese Antikörper können freigesetzt und im Blut nachgewiesen werden. Der Nachweis dieser Antikörper kann eine Verdachtsdiagnose bestätigen. Weitere T-Zellen gelangen in die befallenen Drüsen und halten die Immunreaktion in Gang. Unter normalen Bedingungen würde die Gruppe der sog. T-Suppressor Zellen diesen entzündlichen Prozess zur Ruhe bringen. Das Fortschreiten der Drüsenzerstörung spiegelt das Ungleichgewicht zwischen der ausgeprägten Aktivität der T-Helfer-Zellen und der verminderten Aktivität der T Suppressor Zellen (Unterdrückungs-Zellen) wieder.
Zur Zeit wird intensiv daran geforscht, ob es eine genetische Voraussetzung für die Entwicklung eines Sjögren-Syndroms gibt. Insbesondere Gene wie das humane Leukozyten-Antigen bzw. HLA-Gen sind vererblich. Vergleichbar mit den Genen für Haarfarbe und Augenfarbe erhält jedes Individuum ein Gen vom Elternpaar. Die HLA-Gene sind wichtig für die Kontrolle der Immunantwort. Ein bestimmtes Gen mit dem Namen HLA-DR 3 und HLA-B8 wird in besonders hohem Maß bei europäischen Patienten mit einem Sjögren-Syndrom gefunden. In verschiedenen ethnischen Gruppen finden sich unterschiedliche HLA-Gene, welche mit dem SS assoziiert sein können. Obwohl die Häufigkeit eines SS oder eines systemischen Lupus erythematodes bei Nachkommen von betroffenen Patienten leicht erhöht ist bleibt das Risiko für Nachkommen insgesamt gering (< 10%).
Zusätzlich zu den genetischen Risikofaktoren für das SS spielen offenbar Umweltfaktoren eine Rolle bei der Entwicklung der Erkrankung.
Es wird also insgesamt vermutet, dass virale Infektionen in dem Fall zu einem Sjögren-Syndrom führen können, wenn bestimmte genetische Voraussetzungen des Individuums (z.B. der Nachweis von HLA DR 3) bestehen.
4. Weitere Ursachen für trockene Augen und trockenen Mund (Differentialdiagnosen)
Die Produktion und Absonderung von Speichel sowie der Tränenflüssigkeit unterliegt verschiedenen Einzelschritten. Eine Basisabsonderung von Speichel und Tränen findet automatisch statt, ohne dass uns dies bewusst ist. Die Nerven, welche diese Basalabsonderungen steuern, gehören zu dem sogenannten autonomen- („automatischen") Nervensystem. Bestimmte Faktoren führen zu einer Steigerung oder zu einem Abfall der Tränen oder des Speichelflusses. Wie der russische Forscher I.P. Pavlov vor 100 Jahren bereits zeigte, können Hunde lernen, vermehrt Speichel abzusondern, wenn ihnen bestimmte akustische Signale präsentiert werden. Beim Menschen kann es zu einer Steigerung der Speichelproduktion bereits beim Gedanken oder dem Geruch von schmackhaften Speisen kommen. So können die bewussten Areale unseres Gehirns Signale an die Speicheldrüsen über bestimmte Nerven senden. Verschiedene Medikamente können dieses Areal im Gehirn beeinflussen und somit zu einer Verminderung von Tränen- oder Speichelflüssigkeit führen. Hierzu gehören beispielsweise trizyklische Antidepressiva (z.B. Saroten®) oder Muskelrelaxantzien (z.B. Musaril®). Eine weitere Gruppe von Medikamenten, die sog. Monoamino-Oxidase-Hemmer (MAO Hemmer), führen zu einer besonders ausgeprägten Trockenheit von Auge und Mund.
Dem Patienten mit einem Sjögren-Syndrom sollte klar sein, dass es durch die Einnahme von verschiedenen Medikamenten zu einer Verstärkung der Sicca-Symptomatik kommen kann. Antiepileptika, bestimmte Blutdruck senkende Medikamente, Muskelrelaxanzien oder verschiedene Herz-Medikamente können verschiedene Zielstrukturen des Gehirns und des Nervensystems beeinflussen und dadurch die Sicca Symptomatik verstärken.
Zusätzlich zum Wasseranteil besteht der Tränenfilm aus zahlreichen unterschiedlichen Substanzen. Lipide sind ein wichtiger Bestandteil des Tränenfilms. Die Produktion dieser Lipide erfolgt einmal über die Tränendrüse selber, zusätzlich gibt es kleinere Drüsen in den Augenlidern, welche diese Substanzen produzieren (Meibom-Drüse). Kommt es zu einer Entzündung dieser Lipid produzierenden Drüsen, ist die Hornhaut des Auges anfälliger für Infektionen. Der Verlust dieser Lipid-Produktion sowie der wässrigen Substanzen kann auf die Dauer zu dem Bild einer Keratokonjunktivitis sicca führen.

Verschiedene Erkrankungen können die oben beschriebenen autonomen Areale des Gehirns beeinflussen und somit zu einer Verminderung der Tränen- und Speichelproduktion führen. So kommt es beispielsweise bei Patienten mit multipler Sklerose oder Diabetes mellitus zu einer Trockenheit von Auge und Mund aufgrund der Beteiligung dieser Gehirnstrukturen.
Durch Erkrankungen wie Sarkoidose oder auch AIDS kann es zu einer Entzündung der Speicheldrüsen kommen, welche zur Verminderung der Tränen-/ Speichelsekretion führen.
Bei einer bestimmten Erkrankung, die wir als Fibromyalgie-Syndrom bezeichnen, kann es ebenfalls zu einer Trockenheit von Mund und Auge kommen. Im Labor sowie in der Lippen-Biopsie finden sich bei diesen Patienten jedoch keinerlei typische Veränderungen. Es wird davon ausgegangen, dass es bei dieser Erkrankung ebenfalls zu Veränderungen der zentralen Gehirnstrukturen bzw. der Übertragung von Impulsen zur Speichel- oder Tränendrüse kommt. Patienten mit einem Fibromyalgie-Syndrom klagen zusätzlich häufig über eine allgemeine Müdigkeit und Abgeschlagenheit sowie Muskelschmerzen. Es ist somit wichtig, Patienten mit einem SS von Patienten mit einem Fibromyalgie-Syndrom zu unterscheiden. Wie gesagt finden sich bei der letztgenannten Gruppen keinerlei Blutbild-Veränderungen, die typischen Antikörper können bei diesen Patienten ebenfalls nicht nachgewiesen werden. Die Therapieansätze bei dieser Erkrankung sind anders als beim SS.